Das Thema »Anerkennung von Berufskrankheiten« ist ein Thema, für das sich über die Betroffenen hinaus nur wenige interessieren. In Berufskrankheitenverfahren geht es immer um Einzelfälle, die Verfahren sind oft langwierig und kompliziert und häufig nicht erfolgreich.
Dennoch ist es wichtig, sich um dieses Thema zu kümmern, damit die Menschen, die bei ihrer Tätigkeit krank geworden sind, eine faire Chance auf eine Anerkennung ihrer Erkrankung haben und ihnen Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewährt werden.
Ohne Hilfe sind die Erfolgsaussichten Betroffener gleich Null
Zusätzlich zu ihrer Erkrankung sind die Betroffenen oft mit dem Misstrauen – z. B. von Gutachtern – konfrontiert, sich ungerechtfertigter Weise eine Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung beschaffen zu wollen.
Die Beratungsstelle Arbeit & Gesundheit bietet Betroffenen seit über zwanzig Jahren Hilfe in Berufskrankheitenverfahren an. Mit unserer Erfahrung wollen wir helfen, mehr Licht ins Dunkel des Berufskrankheitenrechts zu bringen.
Die Hürden für die Anerkennung einer Berufskrankheit sind hoch
Am Beispiel der Wirbelsäulenerkrankungen lassen sich die Hürden für eine Anerkennung gut nachvollziehen. Voraussetzungen für die Anerkennung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule (Nr. 2108 in der Liste der Berufskrankheitenverordnung) sind laut Berufskrankheitenliste zum Beispiel eine »langjährige Tätigkeit« und »schweres Heben und Tragen«. Aus dem entsprechenden Merkblatt geht hervor, dass mit »langwierig« eine Dauer von mindestens zehn Jahren gemeint ist. Gleichzeitig wurden Vorgaben dafür entwickelt, in welchem Umfang Lasten gehoben und getragen werden mussten. Das sind aber nicht die einzigen Voraussetzungen. Hinzu kommt, dass ein ganz bestimmtes Schadensbild an der Lendenwirbelsäule vorliegen muss. Die Anerkennungsvoraussetzungen sind so kompliziert zu ermitteln und so schwer zu erfüllen, dass die Anerkennungsquote bei unter einem Prozent liegt. Damit gehören die Wirbelsäulenerkrankungen zu den Berufskrankheiten mit der niedrigsten Anerkennungsrate.
Eine Listenkrankheit ist noch keine »anerkannte« Berufskrankheit
Berufskrankheiten, die in der Berufskrankheitenliste zu finden sind, werden manchmal irrtümlicherweise als »anerkannte Berufskrankheiten« bezeichnet. Jede Anzeige auf Verdacht einer Berufskrankheit wird jedoch als Einzelfall geprüft. Nachgewiesen werden muss immer, ob
- die betreffende Person die schädigende Einwirkung bei der Ausübung ihrer Tätigkeit erlitten hat und ob
- die Erkrankung auf diese schädigende Einwirkung zurückzuführen ist.
Ersteres wird durch die Erhebung der Arbeitsgeschichte geprüft, das Zweite durch die Erstellung eines medizinischen Gutachtens.
Eine Meldung über den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit kann jeder bei der zuständigen Berufsgenossenschaft machen.
Arbeitgeber und Ärzte sind verpflichtet, eine Berufskrankheitenanzeige vorzunehmen, wenn ihrer Ansicht nach ein begründeter Verdacht vorliegt. In der Praxis hat es sich bewährt, dass der behandelnde Arzt des Betroffenen eine Meldung bei der zuständigen Berufsgenossenschaft vornimmt.
Das Anerkennungsverfahren
Nach einer Verdachtsmeldung auf Vorliegen einer Berufskrankheit beginnt die Berufsgenossenschaft von sich aus mit den Ermittlungen. Die erste Phase des Verfahrens bis zu einem Bescheid wird Feststellungsverfahren genannt. Die wichtigsten Schritte in diesem Verfahren sind:
- Fragebogen an den Versicherten und den oder die Arbeitgeber, um die Tätigkeiten und die damit im Zusammenhang stehenden Belastungen zu ermitteln
- Eigene Ermittlungen der Berufsgenossenschaft zu den Belastungen am Arbeitsplatz
- Arbeitsmedizinische Begutachtung
- Bescheid über Anerkennung oder Ablehnung einer Berufskrankheit
Liegen nach Ansicht der Berufsgenossenschaft ausreichend Daten vor, wird die Entscheidung vorbereitet.
Widerspruch und Klage vor den Sozialgerichten
Bei einem ablehnenden Bescheid besteht die Möglichkeit, innerhalb der üblichen Frist von vier Wochen einen Widerspruch einzulegen. Erfolgversprechend ist ein Widerspruch jedoch nur, wenn er fachlich begründet ist. Das ist natürlich nicht einfach, und die Betroffenen müssen sich in aller Regel fachkundigen Rat holen. War der Widerspruch nicht erfolgreich, so können Betroffene vor den Sozialgerichten klagen.
Anerkennung bedeutet nicht automatisch Rente
Bei der Anerkennung einer Berufskrankheit wird gleichzeitig festgelegt, ob eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vorliegt und welches Ausmaß die MdE hat. So können Berufskrankheiten auch »dem Grunde nach« anerkannt werden, ohne dass sich hieraus eine finanzielle Entschädigungsleistung ergibt. Eine Rente wird erst ab einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 Prozent gezahlt. Die Anerkennung »dem Grunde nach« hat allerdings zur Folge, dass die Berufsgenossenschaften für alle medizinischen Behandlungen und Rehabilitationsmaßnahmen, die für diese Schädigung wichtig sind, aufkommen.
Häufige Stolperstellen für eine Anerkennung
Viele Berufskrankheitenverfahren führen nicht zu einer Anerkennung, weil die Belastungen am Arbeitsplatz nicht als ausreichend angesehen wurden. Ein Grund kann darin liegen, dass die Erfassung aller Belastungen nicht sorgfältig genug vorgenommen wurde. Die Ursache für die vorliegende Krankheit kann aber auch schon viele Jahre zurück liegen und manchmal existiert auch die Firma nicht mehr. Um die Belastungssituation am Arbeitsplatz so realistisch wie möglich zu erheben, ist es sinnvoll, dass sich die Berufsgenossenschaft mit allen am Arbeitsschutz Beteiligten und dem Betroffenen zusammensetzt, um das Wissen aller über die Tätigkeit einbeziehen zu können.
Ein anderer Stolperstein kann in der Qualität des medizinischen Zusammenhangsgutachtens liegen. Der Gutachter bezieht sich immer auf die Beschreibung der Arbeitsbedingungen nach Aktenlage. Ist diese unzureichend, kann dies bereits zu einer Empfehlung für eine Ablehnung führen. Eine andere wichtige Voraussetzung ist die fachliche Kompetenz des Gutachters. Verschwiegen werden soll aber auch nicht, dass einige Gutachter den Ruf haben, die Loyalität gegenüber ihren Auftraggebern durch ablehnende Gutachten auszudrücken.
Die Berufsgenossenschaft nennt dem Versicherten drei Gutachter zur Auswahl. So gut das klingt: Fakt ist, Betroffene haben so gut wie nie Kenntnisse über geeignete Gutachter – wie sollten sie auch. Entscheidend ist daher, dass die Betroffenen sich auch bei der Auswahl der Gutachter beraten lassen.
Wie können Betriebs- und Personalräte betroffene Kollegen unterstützen?
Betriebs- und Personalräte müssen immer dann über Berufskrankheiten informiert werden, wenn die Berufsgenossenschaften ermitteln. Das ist bei jeder Meldung eines Berufskrankheitenverdachts der Fall, da die Berufsgenossenschaften zu Beginn des Verfahrens immer einen Fragebogen zu den Arbeitsbedingungen an die betreffenden Firmen schicken. Besonders bei der Erhebung der Arbeitsgeschichte, also der Zusammenstellung der Tätigkeiten und Belastungen, kann der Betriebs- oder Personalrat einen immens wichtigen Beitrag zu einer Verbesserung der Anerkennungschancen leisten. Wichtig ist, dass sowohl der Arbeitnehmer selbst als auch alle anderen am Arbeitsschutz Beteiligten bei der Ermittlung der Arbeitsbedingungen grundsätzlich hinzugezogen werden. Mit solchen »runden Tischen« zur gemeinsamen Erfassung der Belastungssituation am Arbeitsplatz wurden in einigen Betrieben schon sehr positive Erfahrungen gemacht.
Das ist aber nicht die einzige Handlungsmöglichkeit für Betriebs- und Personalräte:
- Der Betriebsrat kann dem Betroffenen anbieten, ihn bei der Akteneinsicht und bei der Formulierung eines Widerspruchs zu unterstützen
- Eine weitere wichtige Hilfestellung kann darin bestehen, geeignete Gutachter zu finden und fachliche Beratung zu vermitteln
- Falls eine Kollegin oder ein Kollege eine Berufskrankheitenanzeige stellt, ist es sinnvoll zu überlegen, gleichzeitig einen Antrag auf Schwerbehinderung zu stellen
Es geht aber nicht nur um die Unterstützung der Betroffenen im Berufskrankheitenverfahren, sondern auch um eine Umgestaltung von Arbeitsplätzen, an denen es zu Erkrankungen gekommen ist. Das ist ein Aspekt, der leider häufig vernachlässigt wird.
Viele Arbeitnehmer, aber auch Betriebs- und Personalräte, kennen sich mit Berufskrankheiten zu wenig aus, um dem Verfahren gewachsen zu sein. Deshalb sollten sich Betriebs- und Personalräte unbedingt Informationen zu diesem Thema einholen, damit sie ihre Kollegen erfolgreich unterstützen können.
Die Beratungsstelle Arbeit & Gesundheit unterstützt Betroffene seit vielen Jahren dabei, ihre Ansprüche gegenüber der Berufsgenossenschaft durchzusetzen. Für Nachfragen und weitere Auskünfte steht Ihnen die Beratungsstelle gerne zur Verfügung.
Rechtliche Verankerung
Als Berufskrankheit gilt eine Erkrankung dann, wenn Erkenntnisse darüber vorliegen, dass sie durch besondere Einwirkungen verursacht wird, denen bestimmte Personengruppen in erheblich höherem Maße ausgesetzt sind als die übrige Bevölkerung. Diese Krankheiten sind in der »Liste der Berufskrankheiten« aufgeführt, die als Anhang in der Berufskrankheitenverordnung enthalten ist. Diese Liste enthält zur Zeit 67 Positionen. Vorschläge für die Veränderung der Liste werden von einem Beratungsgremium aus Arbeitsmedizinern erarbeitet. Unter bestimmten, schwierig zu erfüllenden Bedingungen, können auch Berufskrankheiten, die nicht in dieser Liste stehen, anerkannt werden.
Rechtliche Grundlage: Sozialgesetzbuch VII (SGB) §§ 9, 103, 193, 200 und Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Arbeitnehmervertreter entscheiden immer mit
Was vielen gar nicht bewusst ist: Die eigentliche Entscheidung treffen nicht die Sachbearbeiter in der Berufsgenossenschaft, sondern die Renten- und Widerspruchsausschüsse. Diese Ausschüsse sind Teil der ehrenamtlichen Selbstverwaltung in der gesetzlichen Unfallversicherung und immer zu gleichen Anteilen mit Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern besetzt.