Entlastung durch Software?Handlungsempfehlungen zum Einführungsprozess und zur gesundheitsgerechten Gestaltung

Im Zuge der digitalen Transformation investieren viele Unternehmen in neue Software und Hardware. Sie verfolgen dabei verschiedenste Zielsetzungen. Ob Reduktion des bürokratischen Aufwands, Verbesserung von Arbeits- und Abrechnungsabläufen, Unterstützung von Diagnostik und Therapie und damit Verbesserung der Versorgung oder Entlastung der Mitarbeitenden. In dieser Handlungsempfehlung wollen wir verdeutlichen, wie wichtig es ist, dass bei der Einführung neuer Software der Arbeits- und Gesundheitsschutz frühzeitig und vorausschauend berücksichtigt wird. Dafür zeigen wir rechtliche Grundlagen und Gestaltungsmöglichkeiten der Betriebsparteien auf und verdeutlichen diese am Beispiel der Pflegearbeit im Krankenhaus und in stationären Pflegeeinrichtungen. Grundsätzlich gelten die Empfehlungen entsprechend für alle Branchen.

Belastung durch Software

Die Einführung eines Softwaresystems bedeutet immer die Einführung eines neuen Arbeitsmittels. Die Nutzung von Software verändert meist Arbeitsaufgaben oder Arbeitsabläufe. Diese Veränderung kann mit einem Mehr oder einem Weniger an Belastung für die Mitarbeitenden einhergehen.

Ein Beispiel: Die digitale Dokumentation in der Pflege führt zu weniger Zeitdruck, wenn hierdurch Telefonate wegfallen oder die Patient*innenhistorie für alle an der Versorgung Beteiligten einsehbar wird. Dauert dagegen das Klicken bzw. Speichern von Informationen ohne erkennbaren Mehrwert länger als das händische Schreiben oder stürzt der Computer regelmäßig ab, führt die Einführung der neuen Software zu Störungen im Arbeitsablauf und damit zu zusätzlichem Stress bei ohnehin vorhandenem Zeitdruck. Siehe hier Fußnote 1

Folglich führt die Einführung neuer Software nicht automatisch zu einer Entlastung. Durch eine frühzeitige und vorausschauende Abschätzung der entstehenden Belastung kann die spätere Nutzung der Software effizient und gesundheitsgerecht gestaltet werden. Die frühzeitige und partizipative, das heißt gemeinsam mit den zukünftigen Nutzer*innen stattfindende Folgenabschätzung hat mehrere Vorteile:

  1. Sie stellt sicher, dass die neue Software gebrauchstauglich ist. Das heißt, die Arbeitsaufgabe kann effektiv, effizient und zufriedenstellend erfüllt werden. Sie senkt die Investitionskosten, denn nachträgliche Veränderungen sind – so überhaupt möglich – meist kostenintensiver als eine vorausschauende optimale Gestaltung (Frank et al. 2019).
  2. Nach gelungenen Veränderungsprozessen steigt das Vertrauen in kommende Veränderungsprozesse (Bleses et al. 2020). Somit erhöht sich neben der Akzeptanz der Mitarbeitenden für die neue Software auch ihre Akzeptanz für zukünftige Veränderungsprozesse.
  3. Sie schafft Rechtssicherheit. Die gesetzliche Pflicht zur vorausschauenden Gefährdungsbeurteilung bei der Einführung neuer Arbeitsmittel wird erfüllt (§ 3 Betriebssicherheitsverordnung).

Für die Abschätzung der Belastungsfaktoren empfehlen wir ein Vorgehen, das sich an dem Instrument der Gefährdungsbeurteilung (inkl. physischer und psychischer Belastung) orientiert. Die Gefährdungsbeurteilung ist nicht nur ein bewährtes Instrument des Arbeitsschutzes, sondern ist laut Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) auch verpflichtend bereits vor der Einführung von Arbeitsmitteln durchzuführen. Die Abschätzung der Belastungsfolgen von digitalen Arbeitsmitteln wie Software ist folglich bereits vor der finalen Einführung vorzunehmen. Hierfür empfehlen wir eine digitalisierungsspezifische, d.h. gegenstandsbezogene und abgespeckte Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Ebenso raten wir dazu, partizipative Verfahren zu nutzen, bei denen die zukünftigen Nutzer*innen frühzeitig eingebunden werden. Sie kennen ihre Arbeitsaufgaben und damit die Anforderungen an die neue Software am besten.

Für die Einführung von Software bietet sich ein Vorgehen in zwei Schritten an: Zunächst nutzt die Lenkungsgruppe eine Frage-Checkliste für die Planung und Auswahl der neuen digitalen Arbeitsmittel. Die Fragen der Checkliste orientieren sich dabei an Gestaltungskriterien des Arbeitsschutzes. In einem zweiten Schritt erhalten alle Mitarbeitenden im Rahmen einer Pilotphase einen Fragebogen zu der Belastung durch die neue Software. Die Ergebnisse des Fragebogens werden anschließend in einem Workshop vertieft und geeignete Maßnahmenvorschläge entwickelt. Oft ist das Hinzuziehen von einem oder mehreren externen Sachverständigen zu empfehlen. Diese können zu der Auswahl der Software beraten, bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung unterstützen und bei der Vorbereitung und dem Abschluss einer produktspezifischen Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung begleiten.

Geschäftsführer eines Krankenhauses der Regionalversorgung zur partizipativen und frühzeitigen Abstimmung
„Man muss daran denken, die Mitarbeitenden mitzunehmen. Perspektivisch überlegen wir, hierfür Prozessmanager*innen einzustellen. Bei uns wurde ein-, zweimal eine Software beschafft und nicht genügend abgestimmt. Dann stellten wir fest: Ja, läuft nicht so. Wenn die Akzeptanz bei den Nutzerinnen und Nutzern nicht da ist, dann wird das Ganze nicht benutzt.“

 

Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen gelten?

Die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) verpflichtet Arbeitgeber*innen bei der Einführung neuer Arbeitsmittel eine vorausschauende Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Die Einführung einer neuen Software gilt dabei als Einführung eines digitalen Arbeitsmittels. Arbeitgeber*innen haben bereits vor der Beschaffung der neuen Software auftretende Gefährdungen zu beurteilen und geeignete Schutzmaßnahmen abzuleiten und umzusetzen (§ 3 BetrSichV). Die Betriebssicherheitsverordnung konkretisiert an dieser Stelle die allgemeine Verpflichtung zur Gefährdungsbeurteilung aus dem Arbeitsschutzgesetz (§§ 4-6 ArbSchG). Der Gesetzestext im Wortlaut: Die Arbeitgeber*in „hat vor der Verwendung von Arbeitsmitteln die auftretenden Gefährdungen zu beurteilen (Gefährdungsbeurteilung) und daraus notwendige und geeignete Schutzmaßnahmen abzuleiten. (...) Die Gefährdungsbeurteilung soll bereits vor der Auswahl und der Beschaffung der Arbeitsmittel begonnen werden.“ (§ 3 Abs. 1 und 3 BetrSichV)

Unter neuen Arbeitsmitteln werde neue Softwaresysteme, sowie Updates mit Funktionserweiterungen bestehender Softwaresysteme verstanden.

Es liegt in der Verantwortung von Betriebsräten, Personalräten und Mitarbeitervertretungen, sich für die Einhaltung des Arbeitsschutzgesetzes und entsprechender Verordnungen einzusetzen (§80 BetrVG; §91 HmbPersVG; §40 MVG-EKD). Sie erfüllen diese Aufgabe basierend auf:

  1. Informationsgrundlage: Betriebsräte, Personalräte und Mitarbeitervertretungen sind rechtzeitig und umfassend über Fragen des Arbeitsschutzes zu informieren (§ 89 Abs. 4 und 5 BetrVG; § 79 Abs. 2 und 3 HmbPersVG; § 34 Abs. 1 MVG-EKD). Rechtzeitig und umfassend bedeutet, dass die Arbeitgeber*in das Gremium bereits während der Vorbereitung einer Entscheidung informiert und alle zum tiefgehenden Verständnis relevanten Informationen in möglichst verständlicher Form bereitstellt.
  2. Gefährdungsbeurteilung: Betriebsräte sind beim gesamten Prozess der Gefährdungsbeurteilung in der Mitbestimmung (§ 87 Abs. 1 (7) BetrVG). Personalräte und Mitarbeitervertretungen sind ab dem Schritt der Maßnahmenableitung in der Mitbestimmung (bspw. § 86 Abs. 1 (15) HmbPersVG, § 40 (b) MVG-EKD).
  3. Gestaltung von Arbeitsplätzen: Betriebsräte sind bei Neu- oder Umbaumaßnahmen bzw. der Planung von Arbeitsplätzen rechtzeitig und umfassend zu informieren und zur Beratung heranzuziehen (§ 90 BetrVG). Personalräte und Mitarbeitervertretungen haben ein Mitbestimmungsrecht bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen (bspw. § 86 Abs. 1 (4) HmbPersVG, § 40 (g) MVG-EKD).

Wieso ist eine frühzeitige Folgenabschätzung sinnvoll?

Mit dem Einsatz von Software ist allzu oft die Vision eines Allheilmittels verbunden. Überspitzt gesprochen, gilt der Glaubenssatz: Wenn diese Software erst in der alltäglichen Nutzung verankert ist, werden gleichzeitig mehr Gewinne generiert, Versorgungsprozesse für Patient*innen sicherer sein und Mitarbeitende entlastet. Eine Folgenabschätzung bedeutet, bereits zu einem frühen Zeitpunkt abzuschätzen, ob diese gewünschten Folgen tatsächlich eintreffen – und welche nicht gewünschten Folgen auftreten. So kann frühzeitig nachgesteuert und sich der Realität der gewünschten Vision angenähert werden. Für eine Folgenabschätzung der Belastungsfaktoren ist die Gefährdungsbeurteilung sinnvoll.

Vorsitzender der Interessenvertretung eines Krankenhauses der Maximalversorgung zur frühzeitigen Abstimmung
„Wenn ich erst bei einer bereits gekauften Software den Datenschutz oder die Ergonomie kontrolliere, dann laufe ich den Programmen hinterher. Da dann noch Änderungen zu bewirken, ist für‘s Unternehmen schweineteuer, weil wenn die das Produkt erst mal eingekauft haben, dann kriegen die das nicht wieder vom Teller. So, und wenn dann erst die Interessensvertretung kommt und sagt: Ihr habt aber nicht da dran gedacht, Datenschutz ist eigentlich auch gar nicht konform, jetzt stellt das mal komplett neu auf, dann sind das Kostenpunkte, das ist Wahnsinn.“

 

Was ist eine Gefährdungsbeurteilung?

Die Gefährdungsbeurteilung ist eines der wichtigsten Instrumente des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Die Arbeitgeber*in ermittelt, welche Belastung für die Mitarbeitenden mit ihrer Arbeit verbunden ist und welche Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes erforderlich sind. Gefährdungen können sich aus physischen und psychischen Belastungsfaktoren ergeben, wie beispielsweise der Gestaltung des Arbeitsplatzes, der Gestaltung der Arbeitsmittel, dem Zusammenwirken von Arbeitsabläufen und Arbeitszeit oder einer unzureichenden Unterweisung der Mitarbeitenden (vgl. § 5 Abs. 1 bis 3 ArbSchG).

Die Gefährdungsbeurteilung als 7-Stufiger Prozess wird im Folgenden an einem Beispiel verdeutlicht:

In einem Krankenhaus soll eine neue Software eingeführt werden. In einem ersten Schritt werden die Arbeitsbereiche festgelegt, in denen die Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden soll.

Der zweite Schritt einer Gefährdungsbeurteilung umfasst die Erhebung der Belastung und die Abschätzung möglicher Gefährdungen. Diese entstehen bei der Planung und Einführung von Software beispielsweise durch die fehlende Passung von Software und Arbeitsablauf bzw. Hardware und Software. Zur Abschätzung kann im Rahmen einer Testphase eine Befragung der (zukünftigen) Nutzer*innen mithilfe eines Fragebogens erfolgen. Beispiele für digitalisierungssensible Fragen zur Abschätzung der psychischen Belastung finden sich unter „weitere Kontakte“. Oft ist ab diesem Schritt das Hinzuziehen von externen Sachverständigen zu empfehlen.

Im dritten Schritt werden die Ergebnisse der Erhebung ausgewertet und das Risiko abgeschätzt. Die Auswertung der Erhebung könnte zum Beispiel ergeben, dass die einzuführende Software häufig technische Störungen hat, weil die im Krankenhaus eingesetzten Computer nicht leistungsstark genug sind. Das ist insbesondere dann relevant, wenn die Tätigkeit viel Konzentration erfordert. In der Pflege ist das z. B. das Richten von Medikamenten. Die Gefährdung: Häufige Arbeitsunterbrechungen erhöhen die Arbeitsintensität, da sie den Ablauf in die Länge ziehen. Außerdem beeinflussen sie die Konzentrationsfähigkeit und führen in diesem sensiblen Feld zu häufigeren Fehlern.

Im vierten Schritt gilt es, Schutzziele und Maßnahmen festzulegen. Das kann zum Beispiel die Anpassung der Software, der Wechsel der Softwarefirma oder die Anschaffung leistungsstärkerer Computer oder Server sein. Daran anschließend werden im fünften Schritt die Maßnahmen umgesetzt und im sechsten Schritt die Wirksamkeit der Maßnahmen kontrolliert.

Dokumentiert werden muss nach § 6 ArbSchG das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung (§ 5 ArbSchG), die festgelegten Maßnahmen (§ 3 Abs. 1 ArbSchG), sowie das Ergebnis der Überprüfung ihrer Wirksamkeit (§ 3 Abs. 1 Satz 2 ArbSchG). Gefährdungsbeurteilungen sind als Kreislauf zu verstehen. Die Ergebnisse der einen Gefährdungsbeurteilung sind im abschließenden siebten Schritt die Grundlage für die nächste Gefährdungsbeurteilung. Zum Beispiel ergibt die Auswertung der Belastung während der Pilotierungsphase ganz konkrete Kriterien, die bei dem nächsten Digitalisierungsprojekt in eine Checkliste in die Auswahl und Planung von Software miteinfließen.

Eine frühzeitige und damit vorausschauende Gefährdungsbeurteilung wird idealerweise zweimal während des Einführungsprozesses von Software im Betrieb umgesetzt. Zuerst wird sie während der Planung und der Auswahl durchgeführt und anschließend während der Pilotierung von Software wiederholt. Auf beides möchten wir im Folgenden eingehen.

Gefährdungsbeurteilung und die Auswahl von Software

In der Phase der Planung und Auswahl von Softwaresystemen und Softwarefirmen werden entscheidende Weichen für die Zukunft gestellt. Änderungen an einmal implementierter Software vorzunehmen ist mit zusätzlichen Kosten und Wartezeiten verbunden. Einmal implementierte Software zurückzunehmen, ist ebenfalls nur unter (hohen) finanziellen Kosten und zusätzlichem Mehraufwand möglich. Gleichzeitig besteht hier die erste Möglichkeit, die Akzeptanz der Mitarbeitenden zu stärken, sodass nicht bereits der Einführungsprozess zu Frust führt, der die Nutzungserwartungen an die Software insgesamt reduziert. Entsprechend wichtig ist es in dieser Phase, die Ziele der Implementierung unter Einbindung aller Personengruppen festzulegen und eine transparente Projektplanung aufzustellen.

Es hat sich bewährt, dass die Projektgruppe aus Vertreter*innen der Geschäftsführung, der Interessenvertretung, der IT-Abteilung, der zuständigen Abteilung für Datenschutz und der IT-Sicherheit besteht. Die Projektgruppe kann sich bei ihren Treffen von der Fachkraft für Arbeitssicherheit und der Betriebsärzt*in beraten lassen. In regelmäßig stattfindenden Treffen (Jour Fixes) werden die Ziele festgelegt, die mit der Einführung der geplanten Softwaresysteme erreicht werden sollen. Außerdem wird der aktuelle Planungsstand rückgesprochen.

Die Projektgruppe erarbeitet eine umfassende Checkliste, deren Kriterien bei jedem Softwaresystem bzw. jeder Funktionserweiterung erfüllt sein müssen. Die Checkliste orientiert sich an den Kriterien des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und fragt mögliche Belastungsfaktoren ab. Es hat sich bewährt, die Checkliste als integralen Bestandteil der regelmäßigen Treffen (Jour Fixe) zu etablieren und bei jedem Digitalisierungsprojekt durchzugehen. Das beinhaltet, schriftlich festzuhalten, welche Fragen noch nicht beantwortet werden konnten.

Der Arbeitsschutz-Teil der Checkliste umfasst technische und arbeitsorganisatorische Kriterien. Zur gesundheitsgerechten Gestaltung von Software sind verschiedene DIN Normen relevant (z.B. die DIN EN ISO-Norm Softwareergonomie 9241 und die EN- Norm zur Barrierefreiheit von Informationstechnik 301 549). Diese DIN Normen listen Kriterien auf, die von der Software erfüllt werden sollten. Ziel ist u.a. eine intuitive Handhabung der Software, eine optimale Farbgebung, eine ausreichende Schriftgröße, Anpassungsoptionen und die Navigation durch die Oberfläche. Ebenso zentral ist die Frage, ob ausreichend Zeit und Ressourcen für die Passung von Software und Arbeitsablauf auf den Stationen vorgesehen ist (etwa Customizing/Softwareanpassung).

Weiterhin relevant ist, wie schnell die Softwarefirma im Alltagsbetrieb technischen Support gewährleisten kann, sowohl bei Fehlern der Software als auch bei Anpassungswünschen an die Software. Bei der Auswahl der Softwarefirma kann ein Entscheidungskriterium sein, wie viele Mitarbeitende für den Support eingeplant sind. Zudem kann ein Kriterium sein, ob das Unternehmen schon Erfahrung in dem Support von Häusern und Einrichtungen ähnlicher Größenordnung hat. Zudem ist für Unternehmen wie etwa Krankenhäuser und stationäre Pflegeeinrichtungen ein wichtiges Kriterium, wie die Altdatenmigration umgesetzt wird und wie schnell die Schnittstellen zwischen Softwaresystemen durch die Firmen technisch ermöglicht werden können. Die Einrichtung der Schnittstelle kann im Einkauf von Software ein Abnahme- und Abschlagskriterium sein.

Ein weiteres Kriterium ist, ob das Schulungskonzept alle Bedarfe abdeckt. Es ist etwa wichtig, dass die erste Schulung alle wichtigen Inhalte vermittelt, ohne überladen zu sein (Primärschulung). Ebenso relevant ist, ob – weniger technikaffine – Mitarbeitende die Möglichkeit haben, ein zweites oder drittes Mal die Schulung zu besuchen (Nachschulung). Auf den Stationen sollte es feste Ansprechpartner*innen für Softwarefragen geben. Diese müssen ausreichend und regelmäßig über Neuigkeiten informiert werden. Erst wenn keine Kästchen zur Informationseingabe mehr gesucht werden müssen, ist das volle Potenzial der Entlastung bzw. Vermeidung negativer Beanspruchungsfolgen im Alltagsbetrieb erreicht.

Um die Checkliste zu bearbeiten, kann in einem ersten Schritt auf das Informationsmaterial der Softwarefirma, sowie auf Besuche bei und Telefonate mit Referenzhäusern zurückgegriffen werden. Referenzhäuser sind Einrichtungen, welche die jeweilige Software bereits implementiert haben. Es hat sich bewährt, Informationen vorab digital in einer Projektmanagementsoftware zu dokumentieren und so die eigentlichen Projektgruppentreffen zu entlasten. Eine weitere Informationsgrundlage ist die Projektvorstellung durch die Softwarefirma. Hier ist es lohnenswert, vorab und unter Einbeziehung externen Sachverstandes Nutzungsszenarien („Cases“) zu erstellen und an die Softwarefirma zu schicken. Zudem ist es empfehlenswert, spätere Nutzer*innen (bspw. zwei Ärzt*innen und zwei Personen aus der Pflege) zur Projektvorstellung in der Projektgruppe einzuladen. So kann ihre alltagspraktische und fachliche Expertise aufgegriffen werden. Gerade wenn Unterschiede zwischen den Abteilungen berücksichtigt werden, ergibt sich ein realistischer Eindruck (z. B. im Krankenhaus:
Intensivstation vs. Normalstation; Patient*innen mit hohem vs. geringem Alter; Stationen mit hoher vs. geringer Personaldecke). Es wird ebenfalls dokumentiert, wenn zu einem Kriterium keine Auskunft vorliegt. Die Checkliste ist somit der Beginn der Gefährdungsbeurteilung vor Auswahl des neuen Arbeitsmittels Softwaresystem.

Checkliste

  • Was sind die Nutzungsszenarien („Cases“) der neuen Arbeitsmittel? Wie überzeugend können diese erfüllt werden?
  • Welche konkreten Arbeitsschritte und Arbeitsinhalte sollen durch die neuen Arbeitsmittel verändert werden? Was ist das Ziel der Veränderung?
  • Verändern sich die physischen und psychischen Belastungsfaktoren und entstehen dadurch neue Gefährdungen? Durch welche Maßnahmen wird dem begegnet?
  • Erfüllt der Bildschirmarbeitsplatz die Kriterien der Arbeitsstättenverordnung (DGUV 2019)?
  • Erfüllt die Software die DIN EN ISO-Norm 9241 Softwareergonomie (DGUV 2021) und die
    EN-Norm 301 549 Barrierefreiheit?
  • Bis wann werden die notwendigen Schnittstellen eingerichtet?
  • In welchem Zeitraum und mit wie viel Mitarbeitenden des Softwareanbietenden wird das Customizing/Softwareanpassung auf der Station vorgenommen?
  • Wie sind die Schulungen konzipiert (Zeitraum, Inhalte, Wiederholungsmöglichkeit, eigene Multiplikator*innenschulung)?
  • Welche technischen Supportkapazitäten hat die Softwarefirma (konkrete Anzahl an Mitarbeitenden; Erfahrung mit Unternehmen gleicher Größe)?
  • Was sind die Mindestanforderungen an Hardware, die die Softwarefirma stellt? Für welchen Zeitraum und welche Datenmengen ist das kalkuliert?
  • Etc.

 

Gefährdungsbeurteilung und die Pilotierung von Software

In der Phase der Pilotierung wird erprobt, ob die Mitarbeitenden die Ziele des Einsatzes nachvollziehen und sich auf die Software einlassen. Zudem wird dokumentiert und evaluiert, ob der gewünschte Nutzen eintritt und welche unerwünschten Effekte zu beobachten sind. Entsprechend werden Software, Hardware und Arbeitsabläufe nachjustiert. Manche Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen kaufen die Software etwa im ersten Schritt nur für die Pilotierungsphase und entscheiden sich anschließend im zweiten Schritt für oder gegen das volle Produkt. Hier kann ein Fragebogen zur Gefährdungsbeurteilung sinnvoll zum Einsatz kommen. Der Fragebogen kann etwa als Vorbereitung eines Workshops an alle Mitarbeitenden der Station ausgeteilt und von
einer geeigneten Person (bspw. arbeitsmedizinischer Dienst oder andere externe Sachverständige wie Arbeitspsycholog*innen) ausgewertet werden. Auf dieser Grundlage können mögliche Gefährdungen im Gruppengespräch mit zukünftigen Anwender*innen identifiziert werden. Im Gruppengespräch können ebenso Maßnahmen überlegt und priorisiert werden.

Die Ergebnisse werden der Projektgruppe zurückgespielt, sodass Geschäftsführung und Interessenvertretung gemeinsam adäquate Maßnahmen beschließen können. Die Fachkräfte für IT-Sicherheit, Datenschutz und Arbeitssicherheit sind beratend mit einzubeziehen. Es hat sich zusätzlich bewährt, eine hierfür mit Stunden freigestellte Ansprechperson auf der Pilotstation zu benennen, die das Feedback zum Softwaresystem sammelt. Sie sollte selbst technikaffin sein, das Vertrauen der Kolleg*innen genießen und nicht identisch mit der Stationsleitung sein.

Fazit

Die Nutzung von Software ist nicht automatisch entlastend für Mitarbeitende. Durch eine vorausschauende und partizipative Abschätzung der entstehenden Belastung kann die spätere Nutzung von Software gesundheitsgerecht gestaltet werden. Eine frühzeitige Folgenabschätzung ist für Betriebe in Form einer Gefährdungsbeurteilung verpflichtend (§ 3 BetrSichV). Es ist zu empfehlen das an der Gefährdungsbeurteilung orientierte Vorgehen
1. sowohl während der Planung und Auswahl von Software zu nutzen,
2. als auch während der Pilotierung von Software umzusetzen und
3. den Prozess partizipativ zu gestalten.

Wie kann Ihnen unsere Beratungsstelle weiterhelfen?

Sowohl Arbeitgeber*innen und betriebliche Funktionsträger*innen (z. B. Mitglieder von Interessensvertretungen) als auch einzelne Mitarbeitende aus Hamburg und der Metropolregion Hamburg können sich mit ihren Anliegen an uns wenden. Arbeit & Gesundheit bietet eine kostenlose orientierende Beratung und punktuelle Prozessbegleitung. Bei Bedarf vermitteln wir weitergehende Kontakte.

Quellen und weitere Informationen

Bleses, Peter; Friemer, Andreas; Busse, Britta (2020): Beteiligungsorientierte Digitalisierung der Pflegearbeit: Das Beispiel „digitaler Tourenbegleiter“. In: Vanessa Kubek, Sebastian Velten und Frank Eierdanz (Hg.): Digitalisierung in der Pflege. Zur Unterstützung einer besseren Arbeitsorganisation. Berlin: Springer Vieweg, S. 49-62.
Frank, Roland; Schumacher, Gregor; Tamm, Andreas (2019): Software als Kernkompetenz beherrschen. In: ebd. (Hrsg.): Cloud-Transformation. Wie die Public Cloud Unternehmen verändert. Wiesbaden: Springer Gabler, S. 149-188.
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV) (2019): Bildschirm- und Büroarbeitsplätze – Leitfaden für die Gestaltung. DGUV Information 215-410. Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV) (2021): Softwareergonomie. DGUV Information 215- 450.

Kooperationspartner
Forschungsprojekt “Vernetzte Klinik – entlastete Pflege?” an der Humboldt-Universität zu Berlin
E-Mails: julia.bringmann@hu-berlin.de; benjamin.henry.petersen@hu-berlin.de
Weiterer Kontakt
Forschungsprojekt „Dynamik 4.0“ an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
E-Mail: dynamik40@uni-duesseldorf.deAn dem Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Heinrich-Heine-Universität wurde ein Fragebogen entwickelt und in der Praxis erprobt, mit dem sowohl gängige psychisch Belastung, als auch neue psychisch Belastung während der Nutzung von digitalen Arbeitsmitteln erhoben werden. Unter diesem Link finden Sie Beispiele der digitalisierungssensiblen Fragen: Link zum Fragebogen. Unter dem obenstehenden Kontakt erhalten Sie Informationen zum und Einsicht in den gesamten digitalisierungssensiblen Fragebogen der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung. Dieser kann automatisch ausgewertet werden. Die Verwendung des Fragebogens ist nicht institutsgebunden. Es ist zu empfehlen, den Fragebogen um spezifische Fragen zum Soft- oder Hardwareprodukt zu ergänzen.

 

1 Diese Ergebnisse stammen aus dem Forschungsprojekt „Vernetzte Klinik – entlastete Pflege?“ an der Humboldt- Universität zu Berlin. Alle empirischen Beispiele in diesem Infoblatt, die keinen Quellenverweis aufweisen, sind aus diesem Forschungsprojekt hervorgegangen. Wir möchten uns an dieser Stelle ausdrücklich für die aufschlussreichen Interviews und Hintergrundgespräche mit den Stakeholdern aus den von uns besuchten Krankenhäusern bedanken! Das Infoblatt ist die Kondensierung ihrer langjährigen Erfahrungen.